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# KOMMUNIKATION

Bei Maslow im Parterre wird noch gearbeitet

Wie uns die Krise plötzlich zum Wesentlichen führt

Die Zeit ist wirklich merkwürdig zur Zeit. Dinge, die erst wenige Wochen her sind, scheinen zu einem unstrukturierten Vergangenheitsraum zu verschmelzen, in dem alles einfach nur noch „vor der Krise“ ist. Die Zukunft dagegen, die wir gerne als Verlängerung unserer Gegenwart betrachteten, liegt jenseits eines noch unüberblickbaren Abgrundes: „Wie wird es danach sein?“ „Kommt drauf an, wie lange es dauert.“ „Wie lange denn?“ „Das weiß kein Mensch.“ So viel Hier und Jetzt war nie. Und das ändert fast alles.

Es war also „vor der Krise“, als ich bemerkte, wie ein anschwellendes Unbehagen zu echtem Widerwillen heranwuchs. Grund dafür war das Wort auf der Präsentationswand in einem größeren Konferenzraum: „Purpose“ las ich da. An diesem Vormittag  las oder hörte ich dieses Wort bereits zum vierten Mal – jedes Mal in unterschiedlichem Zusammenhang.  Meist lag dieser Zusammenhang im Marketing und dort bezeichnete der Begriff etwas, das man sonst „USP“ nannte. In Zeiten völlig ausdifferenzierter Botschaften wanderte dieser USP vom faktischen Produktvorteil („keine Windeln mehr waschen“) über den emotionalen Nutzen („trockene, glücklichere Babies“) und höhere Werte („gut fürs Baby, gut für die Umwelt“) hin zu einer Art jenseitigem Heilsversprechen („für eine großartige Zukunft vom ersten Tag an“). Der Purpose war in aller Munde.

Wenn etwas in aller Munde ist, geschehen meistens zwei Dinge: Wenn jeder darüber spricht, weiß keiner mehr, wovon eigentlich die Rede ist. Und zweitens: Irgendwann kann’s keiner mehr hören. Der Begriff wandert dann in eine Nische, wo er zwar nicht gleich stirbt, aber ein Dasein wie Vinyl-Plattenläden führt. Die gibt es zwar auch noch, einige Leute sehen ihren Wert und finden sie immer noch cool, die große Mehrheit aber mästet schon längst die nächste Sau, die durchs Dorf zu treiben ist. So bewegte sich auch der Purpose bereits stramm auf diese Nische zu, in der seine Vorgänger wie Diversity, Disruption, Agility und Responsibility es sich längst eigerichtet hatten. Dann aber geschah etwas anderes.

Die zumindest gefühlt plötzlich auftretende Krise bescherte dem Purpose ein ebenso plötzliches Verschwinden. Oder kennen Sie jemanden, der sich in diesen Tagen damit beschäftigt, den eigentlichen Zweck, den höheren Sinn seiner Arbeit oder Unternehmung zu finden? Wohl eher nicht. Das liegt vor allem daran, dass uns die Krise von der Spitze der Maslowschen Bedürfnispyramide schlagartig in die unteren Etagen befördert hat und wir nun eher von der Angst getrieben sind, vom Erdgeschoss auch noch in den Keller zu rutschen als sich von der Ebene der Selbstverwirklichung aus nach neuem Sinn umzusehen. „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“, nannte Bertolt Brecht dieses wirkmächtige psycho-soziale Prinzip. Kommt nun also das rücksichtslose Hauen und Stechen, der blanke Utiliarismus?

Nein, die Krise offenbart vielmehr, wer persönlich und unternehmerisch wirklich so etwas wie einen Purpose verfolgt und wer damit nur seine Vision-Mission-Value-Lobbyposter betextet. Als milliardenschwerer Konzern sofort auf den Zug der möglichen Mietkürzung aufzuspringen, ist mindestens ein ungeschicktes Signal und wirkt wie eine Verhöhnung all der selbstständigen Einzelhändler, die nun jeden Abend den Taschenrechner zücken und Strichlisten führen, wie viele Tage ihnen noch bleiben. Auch der Aufsichtsrat des Versicherungskonzerns, der gerade jetzt eine Steigerung der eigenen Bezüge um 20% beschließt, zeigt, dass er sich offensichtlich einer anderen Welt zugehörig fühlt und dass er durchaus die feste Absicht hat, es sich auch weiterhin dort einzurichten. Die Perspektive auf Shareholder hat die Stakeholder aus dem Blick verloren.

Auf der anderen Seite gibt es eine große Bewegung von Solidarität, Flexibilität und Kreativität. „Jobs to be done“ ist keine leere Phrase, sondern gelebter Pragmatismus. Angesichts der Krise wird „agiles Arbeiten“ zur von der Realität getriebenen Normalität. Parfum- und Spirituosenproduzenten stellen Desinfektionsmittel her, Modefirmen Schutzmasken, Maschinenbauer Beatmungsgeräte – eine Welle der pragmatischen Solidarität von der kleinen Nachbarschaftshilfe bis zu unbürokratischen Staatshilfen prägt die Stimmung. Entfesselte und verbundene Kreativität schafft neue Lösungen für neue Probleme, mindestens aber ein Gefühl des „zusammen schaffen wir das!“. Dinge, die lange Zeit (beinahe tot-)diskutiert wurden, sind buchstäblich von heute auf morgen möglich. Paradoxerweise öffnet gerade die Beschränkung einen neuen, großen Möglichkeitsraum.

All diese Unternehmen finden nun wie von selbst zu ihrem Sinn – ohne Workshop, ohne Strategie ohne Statement. Was allerdings auch für die Zukunft hilft, ist, sich dessen bewusst zu sein und das auch zu formulieren. Dabei kann ein besonnener Blick von außen durchaus sinnvoll sein. Corporate Culture zu zeigen, Purpose zu leben war nie so wichtig – und nie so einfach. Wenn es einem ernst damit ist.

Alexander Szugger
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