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Die große Chance der großen Kränkung

Achtung, es wird ein wenig psychologisch! Das mag nicht jeder. Dafür winkt am Ende aber auch eine Antwort auf die Frage, welche Kompetenzen Menschen brauchen werden in einer Arbeitswelt der Zukunft (die in diesem Moment beginnt). Ob diese Antwort jeder mag, wird sich zeigen. Hoffentlich nicht. Es liegt ja schließlich ein Wettbewerbsvorteil darin, wenn manche manches etwas früher als andere gut finden. Also zum Psychologischen. Beginnen wir ganz vorne. Ja, bei Freud!

Sigmund Freud war der Ansicht, dass die Menschheit zu seiner Zeit bereits drei große narzisstische Kränkungen durchlebt hatte:

Die kopernikanische Kränkung konfrontierte uns damit, dass die Erde eben nicht das Zentrum des Universums ist. Es dreht sich also nicht alles um uns. Das war erst einmal schwer zu schlucken und es bedurfte einiger Kriege, bis die Botschaft bei allen angekommen war. Eine bittere Pille – aber immerhin waren wir wenigstens hier auf unserer Erde die Krone der Schöpfung. Dachten wir zumindest damals noch...

Bis die darwinsche Kränkung uns dieser Illusion beraubte. Es gab keine grandiose Schöpfung, sondern es führte ein eher mühseliger Weg vom Schlammspringer zum Opernsänger. Das kam schon einer Vertreibung aus dem Paradies gleich. Immerhin aber hatten wir vorher vom Baum der Erkenntnis genascht und der damit gewonnene Geist unterschied uns doch gewaltig von den niederen Mitgeschöpfen. Sollte auch das ein Trugblid sein?

Leider ja. Freud selbst verpasste der Menschheit die nächste große Kränkung. Mit der Entdeckung des Unterbewussten offenbarte sich, dass wir nicht einmal Herren im eigenen Haus sind. Wir werden von Trieben gesteuert und sind uns in der Regel noch nicht einmal dessen bewusst. Was also unterscheidet uns noch vom gemeinen Tier? Es sah danach aus, dass es die Macht ist, die Welt massiv nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Die aufblühende Industrialisierung und Mechanisierung feierte das in einem schier unerschütterlichen Glauben an den großen, alle einenden Fortschritt.

Freud ist längst tot, doch die Kränkungen reißen nicht ab. Wir stehen gerade mitten in einer neuen Kränkungsgeschichte. Und dieses Mal sind es unsere eigenen Geschöpfe, die sich über uns erheben.

Als Maschinen Arbeitern die Arbeit abnahmen, begrüßte man das noch sehr einhellig als goßen Fortschritt. Als sie begannen, Denkern das Denken abzunehmen, kam erstes Unbehagen auf. Nun beginnen Algorithmen zu entscheiden – und zwar über unser eigenes Schicksal. Bei amazon beispielsweise messen Algorithmen nicht nur die Leistung der Arbeiter in den Verteilungszentren, sie schreiben im Fall der Minderleistungen auch Abmahnungen und am Ende sogar die Kündigung. Das Unternehmen betont zwar, dass eine Führungskraft immer noch das letzte Wort habe – aber welches Argument sticht eigentlich gegen die Argumente eines Algorithmus? Mit Logik kommen wir hier nicht weiter – diese Trumpfkarte haben wir aus der Hand gegeben.

Eine narzisstische Kränkung ist eine vollkommene Erschütterung des Selbstbildes. Wir sind buchstäblich in einer Identitätskrise. Und genau das ist zu beobachten in vielen Berufssparten, in Branchen und Organisationen: Macht uns die Digitalisierung arbeitslos? Überflüssig? Gelten unsere gewohnten Regeln nicht mehr? Die letzte Frage muss man wohl mit „ja“ beantworten. Bei den beiden anderen könnte man sich momentan auf ein „vielleicht – es kommt darauf an“ einigen.

Aber worauf kommt es eigentlich an?

Kurz gesagt: Es kommt darauf an, das wieder zu entdecken und zu pflegen, was uns als Menschen ausmacht, eine Intelligenz, die sich von künstlicher Intelligenz radikal unterscheidet. Wir werden künftig noch vieles mehr Robotern und Algorithmen überlassen – sie sind in immer mehr Bereichen effizienter, das heißt sowohl günstiger als auch besser. Akzeptieren wir das und schaffen wir Werte aus dem, wo uns KI nichts vormachen wird, weil es ihr Wirkprinzip einfach nicht vorsieht!

Es geht um Empathie, Intuition, Kreativität – die Fähigkeit „Unsinniges“ zu tun und Neues, sinnvolles daraus zu schaffen. Wir brauchen neue Formen sozialer Interaktion, Arbeitsweisen, Führungsprinzipien, Wertmaßstäbe, Diskussions- und Fehlerkultur, Kreativität in allen Bereichen. All das haben wir. Doch wir haben Menschenbilder und Unternehmen in den letzten hundert Jahren fast ausschließlich nach industriellen Regeln entworfen und geführt. Menschen als Rädchen im Getriebe, Arbeit als Spezialisierung, Sequenzierung, Standardisierung.

Gewinnen wir unsere urmenschlichen Talente zurück, gewinnen wir unsere Identität als Menschen zurück. Und damit unsere Selbst-Wirksamkeit.

Insofern ist amazon vielleicht nicht der Höhepunkt einer neuen Zeit der Digitalisierung, sondern der letzte Zenit industriellen Denkens? Und die große Kränkung durch die künstliche Intelligenz die große Chance? Man könnte darüber mal nachdenken...

Alexander Szugger
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